Filmreihe: „Zugang und Rückgabe: Restitution im Film“
© Nii Kwate Owoo & Arsenal (Nii Kwate Owoo, YOU HIDE ME, 1970)

Veranstaltungsort: Auditorium des LWL-Museums für Kunst und Kultur, Domplatz 10, 48143 Münster
Eintritt: 5 Euro pro Abend (Museumskasse / Ticketshop / Abendkasse)
Idee & Konzept: Maria Engelskirchen, Corinna Kühn, Daniel Müller Hofstede

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Was bedeutet es, wenn ein Stück Geschichte fehlt, kulturelle Identität geraubt wurde? Die Filmreihe „Zugang und Rückgabe: Restitution im Film“ schaut dorthin, wo Objekte abwesend sind – und lädt dazu ein, Restitution nicht nur als Geste der Wiedergutmachung, sondern als gesellschaftliche Herausforderung zu verstehen.

Die Frage nach der Rückgabe kolonial geraubter Kulturgüter ist in den letzten Jahren zunehmend ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Lange Zeit wurden die Forderungen vieler Herkunftsgesellschaften auf politischer Ebene übergangen. Auch in der breiten Gesellschaft stießen sie oft auf taube Ohren. Filmemacher:innen hingegen beschäftigen sich schon seit den 1970er Jahren mit dem Ungleichgewicht zwischen der Abwesenheit bedeutender Objekte in ihren Ursprungskontexten und den mit Artefakten aus dem Globalen Süden gefüllten Depots in den europäischen Museen. Sie dokumentieren die Auswirkungen des verweigerten Zugangs zum kulturellen Erbe, aber auch den künstlerischen und politischen Widerstand dagegen.

Die Filmreihe widmet sich dem Ringen um kulturelle Selbstbestimmung, dem Umgang mit fortbestehenden kolonialen Machtverhältnissen und der Frage, was Rückgabe heute bedeutet und bedeuten kann. An drei Abenden werden ausgewählte Essay- und Dokumentarfilme sowie Kurzformate gezeigt, die das Thema sowohl historisch einordnen als auch aktuelle Perspektiven beleuchten. Stellte der afrokaribische Autor Aimé Césaire schon 1950 fest, man entledige sich der kolonialen Gewalt „nicht so billig“, belegen die Filme eindrücklich: Restitution erfordert mehr als die Rückgabe von Objekten. Sie verlangt nach einem tiefgreifenden Perspektivwechsel – weg von westlichen Deutungshoheiten hin zu den Stimmen und Sichtweisen der Herkunftsgesellschaften. Die Filmreihe lädt dazu ein, über Verantwortung, Herkunft und die Ermöglichung neuer Zugänge nachzudenken. Sie fragt, wie Wege des Zuhörens, der Anerkennung und der Wiedergutmachung aussehen können – denn ohne sie bleibt Restitution unvollständig.

  • Teil 1: Restitution als Akt der Anerkennung (Dienstag, 17. Juni 2025, 19 Uhr)

    Einführung: Jolanda Saal (Kolleg-Forschungsgruppe „Zugang zu kulturellen Gütern im digitalen Wandel“)

    YOU HIDE ME, Nii Kwate Owoo, 1970, 17 Min. [engl. OV]

    DAHOMEY, Mati Diop, 2024, 68 Min. [engl./Fon/frz. OV mit dt. UT]

    Dass die heutige Restitutionsdebatte viel früher hätte begonnen werden können, führt YOU HIDE ME des ghanaischen Filmemachers Nii Kwate Owoo prägnant vor Augen. Aus heutiger Perspektive wird deutlich, wie vehement Restitutionsforderungen aus Ländern des Globalen Südens (kultur-)politisch und gesellschaftlich abgeschmettert wurden. Anfang der 1970er Jahre folgt der Film einem Mann und einer Frau in die Depots des British Museum in London und entdeckt in Plastik gehüllte oder in Holzkisten verstaute afrikanische Kulturgüter, die nicht nur ihren ursprünglichen Besitzer:innen entwendet, sondern noch nicht einmal ausgepackt wurden. Owoo stellt Fragen nach Expertise, Zugang und Gerechtigkeit und verlangt die Rückgabe der Objekte. In DAHOMEY von Mati Diop wird über fünfzig Jahre später die Rückführung von 26 Schätzen des Königreichs Dahomey aus Frankreich in das heutige Benin tatsächlich vollzogen. Das Objekt mit der Nummer 26, eine Statue des Königs Ghézo, verfügt im Film selbst über eine Stimme: Per Voiceover erzählt das Objekt, meist aus seiner Transportkiste heraus und mit der verfremdeten Stimme des haitianischen Schriftstellers Makenzy Orcel, wie es sich in den Kellern des Musée du Quai Branly gefühlt hat und welche Erinnerungen und Gedanken mit seiner bevorstehenden Rückkehr aufkommen. An einer Diskussion von Studierenden der Université d’Abomey-Calavi im Süden des Landes, die am Ende des Films geführt wird, ist abzulesen, dass noch längst nicht alle Fragen geklärt sind und die symbolpolitische Funktion von Restitution durchaus kritisch betrachtet wird. Mit der Frage, inwiefern Restitution ein ernst gemeinter Akt der Anerkennung sein kann und welche notwendigen Änderungen im Denken und Handeln hierfür erforderlich sind, befinden wir uns erst am Anfang eines langfristigen Prozesses.

  • Teil 2: Gegenstimmen und Rhythmen des Widerstands (Dienstag, 24. Juni 2025, 19 Uhr)

    Einführung: Maria Engelskirchen und Corinna Kühn (Kolleg-Forschungsgruppe „Zugang zu kulturellen Gütern im digitalen Wandel“)

    OBJECT ID, Pauline Hafsia M’barek, 2012, 6 Min. [engl. OV]

    UNEARTHING. IN CONVERSATION, Belinda Kazeem-Kamiński, 2017, 13 Min. [engl. OV]

    UN-DOCUMENTED: UNLEARNING IMPERIAL PLUNDER I, Ariella Aïsha Azoulay, 2019, 36 Min. [engl. OV mit engl. UT]

    ONE HUNDRED STEPS, Bárbara Wagner & Benjamin de Burca, 2021, 32 Min. [arab./engl./gäl./frz./okzitan. OV mit dt. UT]

    Wie werden Objekte erfasst, benannt, klassifiziert, kategorisiert, gelagert, ausgestellt und vermittelt? Was macht dies mit den Objekten, was bedeutet es für die Herkunftsgesellschaften und die heutige Rezeption? Während Pauline Hafsia M’barek in OBJECT ID anhand von 55 Fragen die wissenschaftlichen Systematisierungsprozesse musealer Inventarisierung darlegt, bei denen das Objekt selbst weitgehend eine Leerstelle bleibt, untersucht Belinda Kazeem-Kamiński neue Möglichkeiten des Umgangs mit Fotografien und Archivalien aus kolonialen Kontexten. In UNEARTHING. IN CONVERSATION tritt die Künstlerin in einen Dialog mit historischen fotografischen Aufnahmen aus der heutigen Demokratischen Republik Kongo und stellt verschiedene methodische Zugänge künstlerischer Forschung vor, die einen Perspektivwechsel auf die in den Fotografien sedimentierten Gewaltgeschichten und Traumata des Kolonialismus ermöglichen. Ariella Aïsha Azoulays Film UN-DOCUMENTED: UNLEARNING IMPERIAL PLUNDER verschränkt die Migrationsbewegungen von Objekten und Menschen und stellt die Mechanismen imperialen Sammelns auf der einen und die rigorose Regulierung von Migration auf der anderen Seite in einen Zusammenhang fortbestehender asymmetrischer Machtstrukturen. Die Polyphonie, die dem Skript durch die Stimmen von drei Künstlerinnen verliehen wird, setzt sich in ONE HUNDRED STEPS von Bárbara Wagner und Benjamin de Burca fort. Die opulenten Interieurs zweier Anwesen in Irland und Marseille bilden den Rahmen, in dem verschiedene Darsteller:innen mit musikalischen, gesanglichen und tänzerischen Interpretationen ihre Praxis immateriellen kulturellen Erbes den herrschaftlichen Räumen entgegensetzen. Als subversiver Abgesang auf das mit diesen repräsentativen Architekturen verbundene Weltbild knüpft der Film in Anlehnung an The Atlantean Trilogy (1980–84) des irischen Filmemachers Bob Quinn andere, über den Atlantik vermittelte Verbindungslinien zwischen Kulturen jenseits nationalstaatlicher Grenzen.

  • Teil 3: Reparative Praktiken des Erinnerns (Dienstag, 1. Juli 2025, 19 Uhr)

    Einführung: Sam Hopkins (Kunsthochschule für Medien Köln)

    MBARODI, Mamadou Khouma Gueye, 2024, 21 Min. [Wolof OV mit engl. UT]

    CRACKS IN THE MASK, Frances Calvert, 1997, 57 Min. [engl. OV]

    Welche Auswirkungen hat die Abwesenheit von kulturellen Gütern auf die Tradierung von Wissen, künstlerischen Fähigkeiten und kulturellen Praktiken? Mit welcher Entfremdung vom gesellschaftlichen Leben sehen sich Objekte nach ihrer Rückkehr konfrontiert, und wie lässt sich dieser begegnen? Auf unterschiedliche Weise gehen die zwei Filme des Abends diesen Fragen nach. MBARODI von Mamadou Khouma Gueye nimmt Bezug auf die Tradition des Simb oder faux lion im Senegal, populäre Tanzdarbietungen im urbanen Raum, bei denen die Löwen verkörpernden Performer ihre Stärke und Maskulinität zur Schau stellen. Im Gegensatz zu dieser öffentlichen Demonstration von Kraft und tänzerischem Können sind es Momente der Stille, der Konzentration, aber auch der Rastlosigkeit und Erschöpfung, die uns den Protagonisten näherbringen: beim sorgfältigen Schminken, im Museum, im nächtlichen Treiben und im Dialog mit einem fürsorglichen Freund. Somit lenkt der Film den Fokus auf reparative Gesten der Zuwendung, mit denen die Beziehungen zu den Objekten neu gestaltet werden können. CRACKS IN THE MASK von Frances Calvert kehrt den ethnografischen Blick um und begleitet ein Paar von den Torres-Strait-Inseln Mitte der 1990er Jahre in verschiedene europäische Museen auf der Suche nach materiellen Zeugnissen ihrer Kultur. Ausstellungsdisplays, Museumsdepots und Gespräche mit Kurator:innen werden mit historischen anthropologischen Film- und Tonaufnahmen verwoben und von den Tagebuchaufzeichnungen der Reisenden flankiert. Fast drei Jahrzehnte später haben die Reflexionen nichts an Aktualität verloren, während einige der im Film geäußerten Argumente für den Verbleib der Objekte in Europa vertraut klingen, weil sie ein bitteres Echo in den heutigen Debatten finden. Dennoch setzt der Film ein Zeichen der Hoffnung: Trotz der räumlichen wie zeitlichen Distanz und vieler institutioneller wie politischer Widerstände plädiert er dafür, den Riss zu reparieren und die abgebrochene Verbindung wiederaufzunehmen.

Für Gäste mit Hörgeräten mit T-Spule verfügt das Auditorium über eine Induktionsschleife.

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© LWL

Wir danken den Künstler:innen und Filmemacher:innen sowie den Verleihen. Für die freundliche Genehmigung des Screenings von CRACKS IN THE MASK danken wir dem Evangelischen Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit (EZEF).

Die Veranstaltung wird in Zusammenarbeit mit dem LWL-Museum für Kunst und Kultur angeboten.